Wissenschaftler_innen die innerhalb und außerhalb der Gender- und Queerstudies kritisch zu Geschlechterrollen, binären Identitätskonzepten und herrschenden Machtstrukturen arbeiten, müssen in der Regel mit massivem Gegenwind rechnen. Nicht sehr selten sorgen konservative (und) rechte Stimmen dafür, dass aus dem Gegenwind ein Shitstorm wird.
Da aktuell Professor_in Tuider im Fokus rechter Hassreden steht, hat Heinz-Jürgen Voß einen Aufruf zur Solidarität verfasst, den wir hiermit unterstützen möchten.
Ein Shitstorm, der am 3. Juli 2014 auf Facebook losgetreten wurde
und nun bis hin zu Vergewaltigungs- und Mordaufrufen reicht, wendet sich
gegen eine von mir geschätzte Kolleg_in, die seit der Mitherausgabe des
Bandes „Jenseits der Geschlechtergrenzen: Sexualitäten, Identitäten und
Körper in Perspektiven von Queer-Studies“ (2001) zu den engagierten,
produktiven und diskussionsfreudigen Wissenschaftler_innen gehört. Ich
möchte mich mit diesem Beitrag mit Professor_in Tuider solidarisieren.
Der Shitstorm geht von Akif Pirinçci aus, dem Autor des Buches
„Deutschland von Sinnen: Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und
Zuwanderer“. Pirinçci schreibt in der Art eines Thilo Sarrazin, nur
vulgärer. Der Tagesspiegel fasst den Inhalt knapp und passend zusammen:
„Der Pöbler und die Neue Rechte: Akif Pirinçci wütet in seinem Buch
‚Deutschland von Sinnen‘ gegen Frauen, Schwule und Zuwanderer.
Erschienen ist das Pamphlet in einem Verlag, der Demokratiegegner und
Sozialstaatshasser vereint.“ (
Link)
Die FAZ ist zu dem Autor nicht milder und bezieht auch die Leser_innen
ein: „Pirinçcis Geste, es – ‚das ganze System ist für’n Arsch‘ – müsse
endlich mal gesagt werden, und zwar von einem, der sich den Mund nicht
verbieten lasse, [ist] genauso kindisch wie das Lob mancher seiner
Leser, endlich sage es mal einer.“ (Link)
Und auch die ZEIT beurteilt das Buch als „Volle Ladung Hass“, um dann
zumindest eine leichte Entwarnung zu geben: „Lauert mit Akif Pirinçci
eine neue Gefahr am rechten Rand? Das alles ist so wüst vorgetragen,
dass es schon wieder komisch ist. Mit dieser Attitüde lässt sich kein
Staat machen, nicht einmal eine Splitterpartei für Überzeugungsspießer.“
(Link)
Die Entwarnung könnte allerdings verfrüht sein. Es ist auffallend,
dass solche Machwerke in immer höherer Frequenz erscheinen und dass sie
rasch an die Spitze der Bestsellerlisten klettern. Auch wirken Sarrazin,
Pirinçci & Co an einem Klima in der Bundesrepublik Deutschland mit,
in dem zunehmend die verfassungsmäßigen Grundrechte vieler Menschen in
Frage gestellt und Demokratie ausgehöhlt wird. Sarrazin, Pirinçci &
Co schüren Hass und Gewalt, im Großen und gegen einzelne Menschen.
Aktuell geht es gegen die Wissenschaftler_in Tuider.
Professor_in Elisabeth Tuider forscht für eine zeitgemäße und
demokratische soziale Arbeit, die an einem emanzipatorischen
Bildungsverständnis orientiert ist. Kritiken, offen vorgetragen, nimmt
sie ernst und integriert sie nach Möglichkeit in ihre Konzepte, um diese
etwa in Richtung der Verschränkung unterschiedlicher Kategorien der
Ungleichheit – Geschlecht, Klasse, rassistische Unterscheidung –
weiterzuentwickeln (Stichwort: Intersektionalität). Zuletzt hat
Professor_in Tuider gemeinsam mit Kolleg_innen eine Ausgabe des
Sozialmagazins herausgegeben, die wiederum wegweisend für die soziale
Arbeit sein wird – ebenfalls in intersektionaler Richtung. Auch das
Bundesministerium für Bildung und Forschung schätzt ihre Expertise, die
für konkrete sozial- und sexualwissenschaftliche Forschungsprojekte
eingeholt wird. Professorin Tuider gehört zu den großen
Wissenschaftler_innen, die man in einer demokratischen Gesellschaft
schätzt. Dass sie damit Hetzern vom rechten Rand ein Dorn im Auge ist,
ist klar. Genau deshalb ist Solidarität wichtig, damit rechte,
ausgrenzende Positionen nicht die Oberhand gewinnen.
Heinz-Jürgen Voß